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Sylvian: Der stille Soundtüftler

Eine Reise durch die fragile Klangwelt des David Sylvian/ Von Uwe Schütte

Auch ein Trost: Man(n) kann alt werden und dabei immer besser aussehen. David Sylvian ist der beste Beweis dafür. In den Achtzigern, als Sänger der Glam-Rock-Truppe Japan, wirkte er mit seiner blondierten Löwenmähne noch wie eine Mischung aus Hollywood-Starlet und Heavy-Metal-Drummer.
Doch nicht nur Sylvians Frisur hat sich zwischenzeitlich verbessert. Seine Musik ebenso. Im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte hat der melancholische Südlondoner einige der atemberaubend spirituellsten Lieder der Popgeschichte aufgenommen.
Sylvian, der eigentlich David Alan Batt heißt, besuchte Anfang der Siebziger die heruntergekommene Catford Boys School. Das war sein Glück. In Mick Karn und Richard Barbieri fand er zwei Klassenkameraden, die ebenso wie er Musik als einzigen Ausweg aus ihrer ärmlichen Herkunft verstanden.

Als Sylvians jüngerer Bruder Steve zum Trio stieß, war Japan komplett. Unverkennbar beeinflusst von den New York Dolls, veröffentlichten Japan 1978 gleich zwei LPs. Beide waren katastrophale Flops, hörte alle Welt zu dieser Zeit Punk.

Als Sylvians jüngerer Bruder Steve zum Trio stieß, war Japan komplett. Unverkennbar beeinflusst von den New York Dolls, veröffentlichten Japan 1978 gleich zwei LPs. Beide waren katastrophale Flops, hörte alle Welt zu dieser Zeit Punk. 1980 folgten wiederum zwei Alben: Mit "Quiet Life" und "Gentlemen Take Polaroids" hatten Japan nun nicht nur ihren eigenen Stil gefunden.
Sie hatten diesmal auch den Zeitgeist getroffen. Punk war tot, die Synthesizer-Sounds der New Romantics beherrschten jetzt die Londoner Musikszene.
Im November 1981 erschien schließlich "Tin Drum", Japans Meisterwerk. Die außergewöhnliche Single "Ghosts" schaffte es bis auf Platz 5 der Charts. Japan hatten es geschafft - doch für den publicityscheuen Sylvian war es das Ende. Auf dem Höhepunkt des Erfolges löste er die Band auf. Die Best of-Compilation "Exorcising Ghosts" und das während der Abschieds-Tournee aufgenommene Live-Album "Oil On Canvas" sind noch immer beeindruckende Zeugnisse einer der originellsten Popbands Englands.
Nicht mehr viel zu tun mit Pop hingegen hatte das erste Soloalbum von Sylvian. "Brilliant Trees" (1984) ließ das traditionelle Format des Popsongs weitgehend hinter sich. "Red Guitar", die erste Single, erreichte dennoch einen veritablen 17. Platz in den Charts.
"Brilliant Trees" ist eine Platte voller komplexer Kompositionen, in denen Jazzelemente und atonale Improvisationen auf Sylvians evokative Stimme treffen. Nicht mitsingbare Hits wollte er schreiben, sondern atmosphärische Klangräume und emotional berührende Stimmungen erzeugen.
Ein ambitiöses Ziel, das Sylvian im darauf folgenden Doppelalbum "Gone to Earth" (1986) auf beeindruckende Weise verwirklichte. Ähnlich wie David Bowies Berliner Alben "Heroes" und "Low" (1977), besteht "Gone to Earth" aus einem gesungenen und einem rein instrumentellen Teil. Zusammen ergeben sie ein Hörerlebnis von seltener Intensität und Eindrücklichkeit. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der introspektive Charakter der Lieder deutlich spürbar ist.

Sylvian gehört dabei zu den wenigen Musikern, deren Texte religiös-metaphysische Fragen ansprechen können, ohne lächerlich zu wirken, weil Sprache und Musik so poetisch sind, dass sie die philosophische Aussage tragen.
"Gone To Earth" markierte einen entscheidenden künstlerischen Wendepunkt für Sylvian.

Sylvian gehört dabei zu den wenigen Musikern, deren Texte religiös-metaphysische Fragen ansprechen können, ohne lächerlich zu wirken, weil Sprache und Musik so poetisch sind, dass sie die philosophische Aussage tragen.
"Gone To Earth" markierte einen entscheidenden künstlerischen Wendepunkt für Sylvian. Zum einen folgten mehrere atmosphärische Instrumental-Alben irgendwo im Grenzbereich zwischen Ambient und Experiment, die alle in Kollaborationen mit Musikern wie Holger Czukay (Ex-Can) oder dem Künstler Russel Mills entstanden. Zum anderen verfeinerte Sylvian seine Songwriter-Künste.
"Secrets Of The Beehive" (1987) war das bemerkenswerte Resultat. Die weitgehend akustisch aufgenommenen Lieder des Albums orientierten sich wieder stärker an traditionellen Popstrukturen. "Ich habe das Album in kurzer Zeit und instinktiv geschrieben", erklärte Sylvian, "Das war ein wunderbares Erlebnis, weil die Lieder nicht von mir, sondern durch mich kamen." Das hört man. "Secrets Of The Beehive" erreicht durch seine fragile Schönheit eine transzendendierende Qualität, die im Bereich populärer Musik ihresgleichen sucht.
Sylvian hatte den Gipfel seines Könnens erreicht. Daher machte es Sinn, sich seiner Wurzeln zu erinnern. Japan erlebte eine Wiedergeburt in Originalbesetzung, allerdings unter dem neuen, suggestiven Namen Rain Tree Crow. Das titellose Album, 1991 erschienen, sollte aber das einzige bleiben. Beim Mixing hatte sich Sylvian endgültig mit seinen Schulfreunden überworfen.
Die nächste Platte entstand daher in Partnerschaft mit Ex-King-Crimson-Mastermind Robert Fripp. Die wuchtige Spielweise des Gitarrenvirtuoso Fripp blieb nicht ohne Einfluss. "The First Day" (1993) ist das lauteste Album des sonst so stillen Soundtüftlers Sylvian. Das Live-Album "Damage" (1994) dokumentiert, wie ideal die zerbrechliche Stimme Sylvians und der oft brachiale Gitarrensound Fripps sich auch auf der Bühne ergänzten.
Der Erfolg beider Alben gab Sylvian genug Vertrauen, es wieder einmal allein zu versuchen. Zwölf Jahre nach "Secrets Of The Beehive" erschien 1999 mit "Dead Bees On A Cake" sein viertes Soloalbum. Es ist auch Sylvians bisher schlechtestes. Doch selbst eine schwache LP ist noch allemal ein Ereignis inmitten einer Popmusik, der das melodische Gespür und die visionäre Kraft eines David Sylvian abgeht.
Dessen musikalisches Genie unterstreicht noch einmal nachdrücklich die 2000-er "Everything & Nothing"-Doppel-CD. Keine der üblichen Greatest Hits-Kollektionen, sondern eine 29 Songs lange Reise durch Sylvians Solo-Backkatalog mit vielen Abstechern zu nur schwer erhältlichen Kompilations-Tracks und Remixen, sowie unveröffentlichtem Material. Eine Reise, die sich niemand entgehen lassen sollte, für den Popmusik mehr bedeutet als nur Hintergrundgedudel.
Discografischer Hinweis:
Fast alle Alben von Japan und David Sylvian sind bei Virgin Records erschienen und derzeit als preiswerte "Nice Price"-Sonderangebote erhältlich. Darüber hinaus gibt es mehrere begehrte "Limited Edition"-Sammlerstücke, etwa die "Ember Glance"-Edition oder die Sonderausgaben von "The First Day" und "Damage" mit Gold-CD. Besonders hervorzuheben ist die ultrarare und wunderschöne "Weatherbox", die sämtliche Soloalben inclusive "Secrets Of The Beehive" sowie zuvor unveröffentlichte Stücke enthält

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